Große Demonstration von Fridays for Future am 20.9.2019 in Neustadt/A.
Merz statt Habeck – mein persönlicher Wahlrückblick
Die Bundestagswahl ist vorbei. Wir Grünen haben deutlich verloren und sind aus der Regierung ausgeschieden. Der eigentliche Gewinner der Wahl sind die Rechtsextremen.
Haben wir Fehler gemacht? Ja klar.
Sie sind oft genug beschrieben und diskutiert worden. Deshalb möchte niemanden damit langweilen und stattdessen etwas weiter zurückblicken.
Blick zurück auf 2021
Schon im Jahr 2021 traten die Grünen mit einer eigenen Kanzlerkandidatin an. Bei Wahlumfragen lagen wir bei 20 Prozent und eines der wichtigsten Themen war der Klimawandel. Besonders junge Menschen sahen sich um ihre Zukunft betrogen, Millionen Menschen demonstrierten mit Fridays for Future.
Mit Annalena Baerbock und Robert Habeck hatten wir nicht nur einen, sondern gleich zwei mögliche Kanzlerkandidaten, beide kompetent, problembewußt und lösungsorientiert. Aber haben wir uns für die richtige Kandidatin entschieden? Aus der Rückschau betrachtet wohl nicht. Annalena wäre sicher eine hervorragende Kanzlerin gewesen, war aber vielleicht zu nervös, machte Fehler und reagierte ungeschickt. Hinzu kam seit Anfang 2021 eine beispiellose Hetzkampagne gegen die Grünen, die selbst nach der letzten Bundestagswahl 2025 kein Ende fand.
Vielleicht hatten die Menschen nach 16 Jahren Merkel auch keine Lust auf eine weitere Kanzlerin. Stattdessen entschieden sie sich lieber für einen älteren, wenig gesprächigen Herrn, der zudem mit der Cum-Ex-Affäre auch noch mit einem der größten Steuerskandale der Bundesrepublik in Verbindung steht.
So landeten wir bei der Wahl 2021 nur bei 14,7 %, so dass mit der FDP eine 3. Partei zur Regierungsbildung nötig war. Doch trotz sehr unterschiedlicher Positionen der drei Parteien hat die Ampelregierung viel auf den Weg gebracht, ganz besonders beim Klimaschutz: so kletterte der Anteil der erneuerbaren Energien 2024 auf unglaubliche 54,4 Prozent. Allein die Windenergie erzeugt seit dem Jahr 2023 mehr Strom als alle Braun- und Steinkohlewerke in Deutschland zusammen.
Krieg in Europa
Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine und dem Abdrehen russischen Gases und Öls hat es Robert Habeck als verantwortlicher Minister allen Unkenrufen aus AfD und CSU zum Trotz geschafft, Deutschland gut, warm und mit zuverlässig genügend Energie durch den Winter 2022/2023 und die anschließenden Jahre zu bringen. Und Annalena Baerbock bot dem russischen Außenminister Lawrow die Stirn, kämpfte für die Sicherheit Europas und den Frieden in der Ukraine und reiste in den drei Jahren ihrer Amtszeit 9 mal in das vom Krieg gebeutelte Land. (Nebenbei bemerkt: die selbsternannten „Friedensapostel“ Weidel, Chrupalla, Wagenknecht, Stegner und Co. waren bis heute noch nicht ein einziges Mal dort.)
Rolle rückwärts
Die Regierung Merz hätte durch die von den Grünen mitgetragene Reform der Schuldenbremse nun die beste Grundlage, auf den errungenen Erfolgen der Ampel aufzubauen. Doch gerade beim Klimawandel versagt sie kläglich. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat den Weg zur Klimaneutralität nicht nur gestoppt, sondern sogar zurückgedreht. Statt auf erneuerbare Energie setzt sie auf den Bau neuer Gaskraftwerke und die Erschließung neuer Gasfelder, aktuell vor der Insel Borkum und am Ammersee, wo mit Fracking begonnen wird, was einer klimapolitischen Katastrophe gleichkommt.
Auch bei der sozialen Absicherung hat die Ampel viel erreicht, z.B. durch die Ausweitung des Wohngeldes auf viel mehr Mieter oder die Umwandlung von Arbeitslosengeld II zu Bürgergeld. Natürlich gibt es in jedem System Personen, die es ausnutzen und der Staat hat die Verpflichtung, dies zu verhindern. Dies gilt aber nicht nur für die Ärmsten in der Gesellschaft, sondern ebenso für die Reichsten.
Wählertäuschung als Grundmodell
Die März-Regierung ist meisterhaft vor allem in einem: Versprechen zu brechen.
Nur wenige Tage vor der Bundestagswahl brach Friedrich Merz sein Versprechen, eine Brandmauer zur AfD zu halten, indem er bewusst und aus Wahltaktik Gesetzesvorhaben gegen Asylbewerber zur Abstimmung brachte, von denen er wußte, dass sie nur mit der Zustimmung der Rechtsextremen eine Mehrheit finden.
Die Wahlzettel waren noch nicht richtig verstaut, da brach Friedrich Merz mit der Aufweichung der Schuldenbremse sein nächstes Versprechen. Jahrelang hatte er der Ampel mit seinem Widerstand gegen eine Reform der Schuldenbremse das Leben schwer gemacht und so das von Habeck und der Ampel geplante Klimageld für alle verhindert, wohl wissend, dass er selbst auch nur mit Wasser kochen kann, also Geld brauchen wird, um die vielen Probleme des Landes anzugehen.
Doch damit nicht genug. Kaum 100 Tage im Amt wurde schon das nächste Versprechen gebrochen. Die Senkung der Stromsteuer kam nicht für alle. Dies stand zwar unter einem Finanzierungsvorbehalt, war also abhängig von der Finanzlage, interessant ist jedoch, wer nun davon profitiert bzw. wer nicht.
Verkauft wird die Stromsteuersenkung für Firmen als Maßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft, in Wirklichkeit profitieren jedoch nur wenige Großkonzerne davon. So geht die Deutsche Industrie- und Handelskammer davon aus, dass nur maximal 15 Prozent der Betriebe von der Senkung der Stromsteuer profitieren werden. Und der Zentralverband des Deutschen Handwerks wirft der Merz-Regierung sogar einen Vertrauensbruch vor: „Die Stromsteuersenkung für alle Betriebe war nicht irgendwo angekündigt, sondern mehrfach und verbindlich schriftlich festgehalten – im Koalitionsvertrag, in Beschlüssen des vorherigen Koalitionsausschusses und im sogenannten Entlastungspaket der Bundesregierung“, so der Verbandspräsident Jörg Dittrich.
Chance vertan
Mit der Kandidatur von Robert Habeck hatte Deutschland die Chance, einen ehrlichen, die Probleme der Menschen und des ganzen Landes erkennenden und verantwortlich handelnden Kannzler zu bekommen, jemanden, der den Menschen nicht das Blaue vom Himmel runterlügt und nach der Wahl macht, was er will. Jemanden, der weiß, dass es dem Klima völlig egal ist, ob wir Menschen gerade Zeit, Lust und Geld haben, um uns drum zu kümmern. Jemanden, der Konflikte schon Jahre vorher erkennt und Wege aufzeigt, sie zu lösen. So hat Robert Habeck zum Beispiel schon im Mai 2021 davor gewarnt, dass Russland die Ukraine überfallen wird und sie Mittel braucht, um sich dagegen verteidigen zu können. Er hat dies als einfacher Parteichef der Grünen erkannt, während weder die damalige Kanzlerin Angela Merkel noch ihre Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer etwas von der drohenden Gefahr zur Kenntnis nehmen wollten.
Unser Land hatte die Chance auf eine bessere Regierung – wir haben sie nicht genutzt. Doch wir werden die jetzige an ihre Verantwortung für soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz und Menschenwürde erinnern.
Ursula Pfäfflin Nefian
Quellen: Umweltbundesamt/AGEE-Stat; Die Zeit, 2.6.2025; Der Spiegel, 2.2.2025; TV-Duell 9.2.2025, zdf heute, 21.3.2025; FLZ, 4.7.2025; Süddeutsche Zeitung 26.5.2021;





