Das Wasserwirtschaftsamt hat auch völlig vitale Bäume gefällt, wie hier direkt neben dem Steg an der Furt.

Leben im Totholz

Ende 2020 stieß ich beim Spazie­ren­gehen an der Furt über die Steinach auf große Haufen gefällter Bäume. Das Wasserwirtschaftsamt (WWA) hat­te etliche Bäume, sowohl völlig in­takte wie auch schon abgestorbene oder sterbende (Totholz) entlang der Steinach gefällt. Ich war entsetzt und bat ange­sichts weiterer, zum Ein­schlag ge­kenn­zeichneter Bäume, Bür­germeister Gerhard Eichner, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Er wandte sich auch gleich ans WWA – dafür mei­nen herz­lichen Dank! – bekam bis zum Schrei­ben dieses Artikels jedoch keine Ant­wort. Hatte das WWA noch nichts vom Volksbegehren gegen das Arten­ster­ben gehört? Oder werden die Er­geb­nisse noch nicht behördlich umge­setzt? Die Sache interessierte mich so sehr, daß ich mich mit dem Thema Totholz einmal näher beschäf­tigte.

Totholz voller Leben

Der Begriff „Totholz“ bezeichnet alle Arten von absterbendem oder schon abgestorbenem Holz, egal ob stehend oder liegend, Baum oder Busch. Dabei ist der Begriff eigentlich absurd, denn mehr Leben findet man in kaum einem anderen Biotop. Eine unglaubliche Viel­zahl von Organismen hat sich im Laufe seiner Evolution an den Lebens­raum Totholz angepaßt und ist auf be­stim­mte Zerfalls- und Zersetzungs­phasen des Holzes angewiesen. Etwa 1500 Pilzarten, 1350 Käferarten, über 500 verschiedene Fliegen- und Mük­ken­arten, 30 Ameisenarten, solitäre Wildbienen, Moose und Flech­ten fin­den hier ihre Habitat­ni­sche. Ca. 1000 Wespen- und Bie­nen­arten sind auf die unterschiedlichen Zer­setzungsphasen von Holz angewiesen. Es entstehen die unterschiedlichsten Lebensge­mein­schaften in der Rinde, im Holz, im Mulch oder auch in Brandstellen. Bei­spielsweise übertragen Insekten Pilz­sporen auf das Holz und diese sind selbst wieder Lebensraum und Nah­rungsquelle für andere Insekten. Viele dieser Tier- und Pflanzenarten stehen auf der Roten Liste und sind vom Aussterben bedroht, weil ihr Lebens­raum immer weiter zerstört wird.

Ein Nashorn im Kompost

Zu den bekanntesten Käfern, die auf Totholz angewiesen sind, gehört der Hirschkäfer. Seine Larven leben an morschen Wurzeln alter Eichen, Ul­men und Ostbäumen. Zu unseren be­kannten Großkäfern zählt auch der Nashornkäfer, dessen Larven sich auch in Holzabfällen auf dem Kom­post entwickeln, sowie der Mari­en­käfer, der im Totholz sein Winterquartier findet. Jede Baumart hat ihre eigene Tier- und Pilzwelt, die auf sie angewiesen ist. So benötigt zum Beispiel ein Ver­treter der Moderkäfer schimmelndes Holz, von dessen Schimmelpilzen er sich ernährt.

Aber auch Vögel, Reptilien und Säuge­tiere sind auf Totholz angewiesen. Sie können hier ihre Nester anlegen und sich von den Insektenlarven im Holz ernähren. Spechte klopfen ihre Brut­höhlen in lebende und abgestorbene Bäume, die in den Folgejahren wie­derum anderen Tieren eine Wohnung bieten, wie zum Beispiel verschie­de­nen Eulenarten, der Hohltaube oder dem Siebenschläfer, Eichhörnchen, Baummardern sowie vielen Fleder­maus­arten.

Totholz als Klimaschützer

Darüber hinaus wirkt sich am Boden liegendes Totholz positiv auf das Klima aus, da es infolge seines erhöhten Wassergehalts, sich bildender Pilz und Moose, Temperaturschwankungen aus­gleichen kann. Der Boden trocknet hier deutlich weniger stark aus als in anderen Bereichen. Auch auf die Entwicklung von Gewässern, Mooren und Bruchwäldern hat Totholz eine positive Entwicklung und könnte so ebenfalls dem Klimawandel entgegen­wirken. Wenn man es denn ließe... Leider findet man es aus vielerlei Gründen (wirtschaftliche Interessen der Holznutzung, Bauland, Straßen­bau, usw.) immer seltener. Aufgrund unserer „Aufräum- und Ordentlich­keits­mentalität“ gilt das leider auch zunehmend für private Gärten.

Aus Totholz wird wieder Leben

Dabei kann jede/r dazu beitragen, daß bedrohte Arten vor dem Aussterben bewahrt werden. Garten- und Land­besitzer*innen können im Herbst zu­rückgeschnittene Äste in einer Ecke des Grundstücks lagern und dort „ver­gessen“. Sie bieten damit nicht nur Igeln, Kröten und vielen Insekten ein ideales Winterquartier, sondern auch Brutplätze beispielsweise für den Zaun­könig. Je dicker die Äste, umso besser sind sie als Lebensraum geeig­net, umso mehr, wenn sie auch noch von der Sonne beschienen werden.

Dabei kann Totholz auch gut als Hin­gucker eingesetzt werden. Schon seit Jahrhunderten dient es als Gestal­tungselement in Gärten, Parks oder Klostergärten. Der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Und im Ge­gen­satz zu Garten“kunst“ aus dem Baumarkt ist es völlig individuell und kostenlos.

Ursula Pfäfflin Nefian