Ludwig Hartmann und Katharina Schulze am Wahlabend der Landtagswahl 2018

Ludwig Hartmann im Interview

Lieber Ludwig, zuerst einmal herzlichen Glückwusch zu dem phänomenalen Landtagswahlergebnis. Bei den Erst- und Zweitstimmen jeweils 17,6 % im bayerischen Durchschnitt und damit eine Steigerung bei den Erststimmen um 8,8 % und bei den Zweitstimmen um 9 %. Das ist nicht nur das Ergebnis der vielen Grünen vor Ort, sondern auch ganz maßgeblich ein Erfolg von Katha­rina Schulze und Dir. In Gutenstetten konnten wir bei den Zweitstimmen 18,83 % und bei den Erststimmen mit einem völlig unbekannten jungen Kandidaten, der auch noch im Nachbarlandkreis lebt, 15,05 % erringen. Damit sind wir sehr zufrieden.

Grüne Post: Die CSU hatte durch das Wahlergebnis der Grünen die Chance, ihre herben Verlust zu überdenken und zusammen mit den Grünen die wirklich wichtigen Themen im Land anzugehen. Sie hat es nicht getan. Warum nicht? Wie ist Deine Einschätzung?

Ludwig Hartmann: „In der CSU sind die Beharrungskräfte groß. Das gilt für den Natur- und Klimaschutz ebenso wie für den gesellschaftlichen Wandel. Da hinkt die CSU den Erfordernissen und Ent­wick­lungen einfach immer zwei, drei Schritte hinterher. Deshalb schafft sie es auch nicht, den klar artikulierten Wunsch der Menschen nach einem ökologi­sche­ren Bayern mit wirksamem Umwelt- und Artenschutz, einer klaren Begrenzung des Flächenverbrauchs und echtem Klima­schutz gerecht zu werden. Schon gar nicht im Verbund mit den Freien Wählern. Da belässt man es dann lieber bei ein paar Lippenbekenntnissen und unverbindlichen Ankündigungen wie dem Richtwert für Flächenfraß und wurstelt ansonsten weiter wie gehabt.“ 

Grüne Post: Eine Koalition mit den Freien Wählern war sicher der einfache­re Weg. Doch die Probleme sind ja da und werden mit jedem Tag größer; Kli­maerwärmung, Artenschwund, Gewäs­serschutz, Mobilität sind nur einige drän­gende Fragen, auf die in kürzester Zeit Antworten zu finden sind. Die schwarz-orange Koalition hat ihren Koalitions­vertrag vorgelegt, Herr Söder seine Regierungserklärung gehalten. Wie will die Regierung die drängendsten Fragen angehen?

Ludwig Hartmann: „Nochmal: Einen großen Teil der Probleme, die den Men­schen auf den Nägeln brennen, geht die­se Regierung gar nicht an. Das wird sich rächen und vielleicht schneller, als Sö­der und Aiwanger sich das heute vor­stellen können. Wir haben jetzt Ende Januar/Anfang Februar die Eintra­gungs­frist für unser Volksbegehren „Rettet die Bie­nen“. Wenn wir da Erfolg haben, drängt dieses Thema auf die Agenda des Landtags. Da müssen CSU und Freie Wähler dann eben vieles nach­holen, was sie im Koalitionsvertrag ver­säumt haben – Schutz der Gewässer, ökologischer Umbau der Landwirtschaft, mehr Biotopverbünde und und und. Da müssen wir alle richtig reinklotzen und mit einem erfolgreichen Volksbegehren Druck auf die schwarz-orange Koalition machen. Und wenn sie dann nicht han­delt, holt sie sich eben beim Volksent­scheid eine Watschn ab.“

Grüne Post: Vor der Wahl tingelte Herr Söder durchs Land und verteilte Wohl­taten: ein bayerisches Familiengeld, ein bayerisches Pflegegeld, ein bayerisches Baukindergeld, hier und da ein neuer Hochschulstandort – und nicht zu ver­gessen: Bavaria One, sein ganz persön­liches Raumfahrtprogramm. Was bringt das den Menschen in Bayern und was kostet es uns?

Ludwig Hartmann: „Wir Grüne wollen eine bessere Kinderbetreuung und vor allem auch flexiblere Betreuungszeiten, damit Mütter und Väter – wenn sie das wollen – arbeiten gehen können. Das nützt Alleinerziehenden und unterstützt Frauen in ihrer beruflichen Karriere, weil sie nach der Elternzeit schnell wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. So beugen wir übrigens auch Kinder­armut und späterer Altersarmut gerade bei Alleinerziehenden vor. Wenn wir also die Kinderbetreuung an die Bedürfnisse der Eltern anpassen wollen und durch einen kleineren Betreuungsschlüssel auch noch verbessern wollen, müssen wir Geld in dieses System stecken. Das verteilen CSU und Freie Wähler im Mo­ment aber generös an junge Familien, die das natürlich auch gerne annehmen. Aber so verbessern wir eben nicht unser Betreuungssystem und machen auch den Mangelberuf der Erzieherinnen und Erzieher nicht attrak­tiver. Ähnliches gilt für das Pflegegeld: Nice to have für Betroffene, aber eigentlich müssten wir den Beruf der Pflegenden aufwerten und so mehr Pflegekräfte gewinnen – und dafür fehlt das Geld jetzt.

Bleibt noch das Baukindergeld, für mich die größte Schnapsidee Söders. In der Stadt München, wo wir den größten Wohnungsmangel haben, kann eine kleine Dreizimmerwohnung schon mal 750.000 Euro kosten. Da verdampft das Baukindergeld einfach – oder wird vom Bauträger dankbar eingepreist und macht den Eigentumserwerb noch teurer. Auf dem Land in Franken, da mag das Baukindergeld beim Kauf einer Wohnung oder eines kleinen Hauses helfen, wird aber eigentlich nicht gebraucht – Wohnen ist dort erschwing­lich und vielerorts stehen Häuser sogar leer. Dieses Geld wäre gut investiert zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in den Ballungszentren. Aber da fehlt es jetzt natürlich…

Zur Wissenschafts­poli­tik: Ich finde es wichtig, Zukunftsforschung in Bayern zu fördern und bin deshalb auch kein Freund billiger Polemik gegen Luft- und Raumfahrtforschung. Wissen und Bildung – das ist der Rohstoff unseres Landes. Mit „Bavaria One“ wollte Söder aber vor allem einen Marketing-Coup landen. Da steckt so wenig drin, dass die Luft- und Raumfahrtforscher offen enttäuscht sind. Seriöse Wissenschafts­politik kommt glaube ich auch ohne peppige Slogans aus.“

Grüne Post: Und dann sind da noch die Freien Wähler. Vor der Wahl sind Polder an der Donau für den Hochwasser­schutz notwendig – nach der Wahl in Landkreisen mit freien Landräten nicht mehr, vor der Wahl wollen sie gegen die Beauftragten der Staatsregierung kla­gen – nach der Wahl stellen sie selbst zwei Beauftragte und damit sind sie auf einmal kein Problem mehr. Wie siehst Du die Rolle der Freien Wähler?

Ludwig Hartmann: „Die Erfolge der Freien Wähler in der Kommunalpolitik beruhen darauf, dass sie sich oft zum Anwalt bürgerlicher Interessengruppen gemacht haben. Das funktioniert regio­nal ganz gut, weil man halt mal ein ungeliebtes Großprojekt verhindern oder auch mal ein berechtigtes Anliegen durchsetzen kann. Ich will das gar nicht klein reden. In der Landespolitik macht aber genau dieses kleinteilige Denken Probleme. Denn die Windkraftanlage, die im Ort X verhindert wird, muss halt dann im Ort Y entstehen – wenn man ökologische Windkraft voranbringen will. Die im Landkreis A bekämpfte Strom­leitung verläuft dann durch den Landkreis B. Und ohne die Flutpolder im Donau-Oberlauf saufen am Ende Städte im Donau-Unterlauf ab. Da bekommen die Freien Wähler jetzt echte Probleme, weil sie die lokale Lobbypolitik auf Landesebene eben nicht immer durch­setzen können. Bestes Beispiel ist da eigentlich die von den örtlichen Freien Wählern vehement bekämpfte dritte Startbahn am Flughafen München. Die Planungen hierfür bleiben bestehen, sie hängen weiter als Damoklesschwert über der Region Freising-Erding-Mün­chen, auch weil das Thema dem Nieder­bayern Hubert Aiwanger in den Koa­litionsverhandlungen weniger wichtig war als die Verhinderung der Flutpolder im Landkreis seiner Lebensgefährtin Tanja Schweiger. Ich glaube, die Freien Wähler stecken da in einem schwer lösbaren Dilemma fest und bin ge­spannt, was die Zukunft bringt.“

Grüne Post: Vor der grünen Landtags­fraktion stehen gewaltige Aufgaben. Was wollt Ihr als erstes angehen? Wie ist Eure Agenda?

Ludwig Hartmann: „Klar ist: Viele Themen, die uns im Wahlkampf wichtig waren, sind ungelöst und bleiben des­halb weiter auf der Agenda. Echte Gleichstellung von Frauen, mehr Öko­landbau und weniger Ackergifteinsatz in der konventionellen Landwirtschaft, der Kampf gegen übergriffige Polizeirechte im PAG, ein bayerisches Klima­schutzgesetz, die Schaffung von bezahl­baren Wohnungen in unseren über­hitzten Ballungsräumen und Chancen­gleichheit für die Menschen auf dem Land.

Thema Nummer eins ist aber der Schutz unserer vom Aussterben bedroh­ten Tiere und Pflanzen, also der Kampf für den Erhalt der Artenvielfalt in Bayern. Und deshalb nochmal meine ganz große Bitte: Kämpft mit uns und unseren Ver­bündeten für einen Erfolg des wich­tigen Volksbegehrens „Rettet die Bie­nen“. Helft mit, dass Anfang 2019 so viele Menschen wie möglich in die Rathäuser und Meldeämter gehen und für dieses Volksbegehren unterschrei­ben. Dann wäre das ein wirklich guter Start in das Jahr 2019 und eine Steilvorlage für unsere parlamen­tari­sche Arbeit!“

Grüne Post: Herzlichen Dank und viel Erfolg Dir und der ganzen Fraktion!

Das Interview führte Ursula Pfäfflin Nefian