Buchbesprechung: „Die Letzten Ihrer Art“

Das dritte Buch von Maja Lunde, des „großen literarischen Klimaquartetts“, wie der Verlag das formuliert, ist wie sei­ne Vorgänger aufgebaut. Wieder sind drei Handlungsstränge in drei Zeit­epo­chen beschrieben.

Die erste Handlung spielt im Jahr 1881 in St. Petersburg: Dem Zoologen Mi­chail wird der Schädel eines getöteten, mongolischen Wildpferdes gebracht. Er kann kaum fassen, was er in den Händen hält. Es könnte der Schädel eines Urpferdes sein, das eigentlich seit Jahrtausenden als ausgestorben gilt. Michail plant eine Expedition in die mongolische Steppe. Ein großes Wag­nis, für das er die Hilfe des deutschen Abenteurers Wolff benötigt.

Die zweite Handlung spielt 1992 in der Mongolei, wo die Tierärztin Karin mit ihrem Sohn Matthias von Berlin in das Naturschutzgebiet Hustai reist. Mat­thias möchte mit seinem früherem Le­ben abschließen und dabei seine Mut­ter besser kennen lernen. Karin wiede­rum ist ihrem Ziel ganz nah, eine Her­de des fast ausgestorbenen Prze­walski-Pferdes in die freie Wildbahn zu entlassen. Seit ihrer Kindheit widmet sie den Pferden ihr Leben. Doch das hat seinen Preis, damals wie heute.

Die Dritte Handlung ereignet sich 2064 in Norwegen, Haiane Akerhus. Mittler­weile ist der Klimakollaps eingetreten, Europa zerfällt. Viele Menschen muss­ten ihre Heimat verlassen, nur Eva und ihre Tochter Isa leben noch immer auf ihrem Hof; Das Verhältnis ist ange­spannt. Isa möchte, wie ihre Nachbarn und deren Sohn Lars, fortgehen. Wäh­rend wiederum Eva bleiben und kämp­fen will, um ihre letzten beiden Wild­pferde zu retten, auch wenn die Nah­rung knapp wird. Bis plötzlich eine fremde Frau auf dem Hof Zuflucht sucht….

...soweit teilweise wörtlich der Klatten­text.

Maja Lund webt aus den Schicksalen der Menschen einen Teppich in anrüh­render, teilweise aber auch nüchterner und erschreckende Weise. Wobei die zentralen Figuren und die überwie­genden Ereignisse entweder fiktiv bzw. durch ihre Phantasie beeinflusst sind.

Die Autorin wurde für die Geschichte von Michail und dem Abenteurer Willi­am Wolff in St. Petersburg und vom Zoopionier Carl Hagenbeck inspiriert. Sie handelt jedoch zu der Zeit, als der Zar Alexander III gestürzt wird und Michail und seine Mutter dies unmit­telbar miterleben. Die Mutter, welche sich in bunten Farben eine Heirat für ihren Sohn ausmalt, wird vom selbst­losen Eingreifen des Abenteurers Wolff, bei der Versorgung der Ver­letzten des Attentats, überrascht und spürt, dass sie ihren Sohn für die Expedition freigeben muss.

Die Erlebnisse in eisigen Nächten ver­än­dern den Zoologen, er entdeckt an sich neue Seiten und Bedürfnisse, er erkennt, dass bisherige Freund­schaf­ten nicht ebenbürtig waren. Und sie finden besagte Urpferde, welche sie zurückbringen und dann erst lernen müssen, für deren Wohlbefinden zu sorgen.

Der Ausgangspunkt für Karins Ge­schich­te war, wie sie schreibt, unter anderem, ein Buch von Piet Wits und Inge Boumans über deren langjährige Arbeit mit „Takhis“, wie Przewalski­pfer­de auch genannt werden.

Karin sitzt zusammen mit ihrem Sohn Mathias und acht Holzkisten, in wel­chen ihre geliebten Pferde stehend den Flug überstehen müssen in einem sowjetischen Transportflugzeug. Karin leidet mit ihnen. Sie fühlt sich, als wäre sie es, die ständig gegen die Wände stößt und den Kopf gegen die Holz­latten schlägt. Die Flugangst ihres Sohnes lässt sie unberührt.

Nach der Landung sind ihr die Jour­nalisten und Blumensträuße lästig. Sie will sich um ihre Pferde kümmern, wel­che noch auf Lastwagen geladen wer­den müssen, bis sie am Zielort ankom­men. Sie will mit ihnen sprechen, schauen, ob ein Pferd nach über 24 Stunden unruhig geworden ist.

In Hustai hatte sie bereits Vorbe­rei­tungen getroffen, sie wird von Jochi erwartet. Mathias fragt sich, ob zwi­schen den beiden eine Beziehung be­steht. Die Beziehung zwischen Karin und ihrem Sohn ist äußerst ange­spannt. Karin hat ihn zu oft schon von der Straße, aus einem Hinterzimmer oder einem Rohbau aufsammeln müs­sen. Sie muss ihre Gefühle für ihren Sohn in Zaum halten, damit sie nicht weiter verletzt wird. Ihre Gefühle hat sie den Pferden gewidmet, seit der Zeit, als ihre Mutter im Krieg für Göring auf dessen Gut Carinhall gearbeitet hat. Sie kommt dort bei einem Flieger­angriff ums Leben, als ihre Tochter die Przewalski Pferde retten will und die Mutter ihre Tochter. Aber Karin ist auch mit ihren Pferden nicht vor Verlet­zung gefeit. Sie muss miterleben, dass durch „Revierkämpfe“ oder Wasser- und Nahrungsmangel ihre Lieblinge sterben.

Die Geschichte von Eva und ihrer Tochter ist rein fiktiv.

Interessant ist, dass die fremde junge Frau, welche Zuflucht auf dem Hof sucht, die erwachsene Louise, eine Figur aus dem Vorgängerroman „Die Geschichte des Wassers“ ist. Louise flüchtet mit ihren Eltern und ihrem Bruder aus Frankreich, da dort nur noch Dürre und verbrannter Boden herrschen. Sie verlieren auf der Flucht Mutter und Bruder und beziehen nach einem Brand, in einem deutschen Flücht­lingslager, ein Boot an einem ausgetrockneten Fluss. Sie warten auf Regen und dass der Fluss wieder Wasser trägt. Im aktuellen Buch er­zählt Louise, dass ihr Vater Sie mit dem restlichen Wasser auf den Weg um Hilfe schickt, um ihr Leben zu retten (wohlwissend, dass er sie nicht wieder sehen wird).

Louise tut dem Zweiergespann von Mutter Eva und Tochter Isa gut. Sie rettet Eva vor erneuten Übergriffen durch den Vater Isas und seinen Trink­kumpanen.

Eva sind ihre zwei letzten Przewals­kipferde wichtig. Sie gibt ihnen gegen den Willen ihrer Tochter noch von ihren Möhren ab. Sie wehrt den zu­dringlichen, nach der Flucht der Nach­barn, ausgesetzten Hengst ab, um die Art der Wildpferde zu erhalten. Als der Strom für immer ausfällt, kämpfen sie um Überleben. Dann erfahren sie, dass Louise schwanger ist.

Petra Languth